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Blog

Der Pragmatist Helmut Erler schreibt zu den Themen Unternehmerfamilie, Unternehmensethik und Logovision.

28 Oktober

Die Magie des Grußes

Gemeinsam mit einem Unternehmer sprach ich, nachdem wir uns in einem Workshop mit seiner individuellen Unternehmensvision beschäftigt hatten, darüber, was denn die heutigen Anforderungen an junge Akademiker wären. Nach kurzem Nachdenken meint der Unternehmer: „Lernt den Studenten doch vorerst einmal »Bitte« und »Danke« sagen und zu grüßen!“ Als Verteidigung für die Hochschulen dieses Landes führte ich sofort an, dass diese Tugenden wohl bereits im frühen Kindesalter von den Eltern zu vermitteln wären, und dass dies keine Aufgabe für den Hochschulbetrieb sei. Wir waren uns dahingehend auch schnell einig, aber der Gedanke, warum denn das Grüßen meinem Gesprächspartner so wichtig war, lies mich nicht mehr los. Auch deshalb nicht, weil auch eine große Anzahl weiterer Entscheidungsträger mir auf Nachfrage bestätigte, dass es im Einsatz dieser Grundtugend auf breiter Basis hapert.
Der Gruß findet vielfache Ausdrucksweisen. Auf diese möchte ich hier aber nicht eingehen. Auf das Grundsätzliche des Grüßens möchte ich mich einlassen und einige Gedanken teilen, die darauf abzielen, das philosophische und psychologische Fundament dieser Tugend zu beleuchten.
Für einen Pragmatisten muss sich doch zumindest eine Antwort auf die Frage finden lassen: „Warum ist das Grüßen in zwischenmenschlichen Begegnungen so wichtig?“ Da fällt mir die Aussage des irischen Philosophen der Aufklärung, George Berkeley (1685 – 1753) ein. »Esse est percipi«, was so viel heißt wie »Es gibt etwas, das wahrnimmt« oder »Es gibt etwas, das wahrgenommen wird«. Sein ist also wahrgenommen werden.
Wenn man über diese Aussage etwas philosophisch nachdenkt, kann man die Bedeutung des Grüßens erkenntnistheoretisch festmachen. Begrüße ich einen anderen Menschen, zeige ich ihm dadurch gleichzeitig, dass ich ihn als Teil meiner individuellen Welt wahrnehme und ihm einen Platz in dieser, meiner Welt einräume. Wie wichtig dieser Platz ist, hängt wohl auch von der Intensität und Intimität meines Grußes ab. Auf jeden Fall erhält die begrüßte Person für einen bestimmten Zeitraum Bedeutung in meinem Leben.
Jemandem durch einen Gruß zu zeigen, dass er Zeit und Raum in meinem Leben einnimmt, eine Sphäre, die ich durch mein Tun für andere aktiv öffne, misst dem tugendhaften Einsatz des Grußes einen sehr hohen Stellenwert in der zwischenmenschlichen Beziehung bei. Konsequenterweise wird ein Mensch, den ich nicht grüße, mein Handeln oder in diesem Falle mein Nichthandeln so verstehen, dass er eben keinen Platz in meinem Leben hat bzw. zu einem bestimmten Zeitpunkt ihm meinerseits weder Zeit noch Raum in meinem Leben eingeräumt werden. Das Nicht-Grüßen kann somit auch als unmittelbar erfahrbares Zeichen der gänzlichen Missachtung der Existenz eines anderen verstanden werden.
Wenn man sich der Bedeutung des Grüßens und des Nicht-Grüßens einmal bewusst ist, kann man auch für sich selbst aktiv bewerten, welche tiefgründige Verletzung der menschlichen Würde anderer die Missachtung bzw. auch der Missbrauch dieser Tugend haben kann. Wird ein Gruß nur halbherzig oder so nebenbei ausgeführt, werte ich damit mein Gegenüber ab, und diese Abwertung wird von anderen auch unmittelbar wahrgenommen. Ein schaler Händedruck oder die Vermeidung von Blickkontakt bei einem Gruß wird als Ablehnung verstanden. „Der ist nicht Fisch und nicht Fleisch“ lautet ein bekanntes Sprichwort. Manchmal empfindet man sogar Ekel dabei, wenn man nur so nebenbei und ohne deutliche Wahrnehmung gegrüßt wird. Da wäre einem doch schon lieber, überhaupt nicht gegrüßt zu werden.
Das Bewusstsein der tiefgründigen Bedeutung des Grüßens kann uns helfen, unsere wichtigen Beziehungen zu anderen Menschen eindeutiger festzulegen, indem wir diese Tugend aktiv und mit vollem Bewusstsein einsetzen. Es liegt an uns, anderen zu zeigen, welche Bedeutung sie in Zeit und Raum für uns haben, und wie ehrlich wir es damit meinen.
Ein ehrlicher, bewusst ausgeführter Gruß ist Zeichen der Wahrnehmung menschlicher Würde!